Zu viel, zu wenig oder genau richtig? Im Bekleidungshandel entscheidet die richtige Höhe der Bestände über Erfolg oder Misserfolg. Doch wie lässt sich die optimale Balance zwischen Verfügbarkeit und Kapitalbindung finden? Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Lagerkennzahlen, die man für ein erfolgreiches Bestandsmanagement im Blick behalten muss. Wir zeigen nicht nur, wie Sie die LUG, die Abverkaufsquote oder die Reichweite berechnen, sondern auch, welche Kritikpunkte und Herausforderungen mit den verschiedenen Lagerkennzahlen verbunden sind. Erfahren Sie, wie Sie den richtigen Mix für Ihre eigene Situation finden.
Inhaltsübersicht:
Lagerkennzahlen für ein effizientes Bestandsmanagement
Das Bestandsmanagement ist eine der wichtigsten Aufgaben (nicht nur) im Bekleidungshandel. Ein effektives Management sorgt dafür, dass die richtigen Produkte zur richtigen Zeit in der richtigen Menge verfügbar sind. Dies vermeidet sowohl Überbestände als auch Engpässe. Dies erhöht die Kundenzufriedenheit und damit letztlich die Rentabilität. In diesem Artikel werden wir den durchschnittlichen Bestand, die Lagerumschlagshäufigkeit (LUG), die Reichweite, die durchschnittliche Lagerdauer und die Abverkaufsquote (AVQ) im Detail betrachten und ihre Bedeutung für das Bestandsmanagements erläutern.
Durchschnittlicher Bestand
Der “durchschnittliche Bestand” gibt den Mittelwert des Lagerbestands über einen bestimmten Zeitraum an. Diese Kennzahl wird benötigt, um zwei weitere Lagerkennzahlen, nämlich die Lagerumschlagshäufigkeit und die durchschnittliche Lagerdauer zu berechnen.
Formel zur Berechnung des durchschnittlichen Bestands (jährlich):
Beispiel: Angenommen, der Anfangsbestand eines Jahres beträgt 8.000 Euro und der Endbestand 12.000 Euro:
Formel zur Berechnung des durchschnittlichen Bestands (mit Monatsinventuren):
Kritikpunkte an der Lagerkennzahl “durchschnittlichen Bestand”:
- Vergangenheitsorientierung: Der durchschnittliche Bestand reflektiert historische Daten und kann in dynamischen Märkten, in denen sich Nachfrage und Sortiment schnell ändern, weniger aussagekräftig sein.
- Vereinfachte Darstellung: Selbst mit monatlichen Inventuren kann der durchschnittliche Bestand durch stark schwankende Monatsendbestände verzerrt werden.
- Keine Differenzierung nach Produkttypen: Der durchschnittliche Bestand berücksichtigt nicht, dass unterschiedliche Produkte unterschiedliche Lageranforderungen haben. Ein hoher durchschnittlicher Bestand könnte durch eine hohe Menge von geringwertigen oder langsam drehenden Produkten verzerrt werden.
Lagerumschlagshäufigkeit (LUG)
Die “Lagerumschlagshäufigkeit” ist eine zentrale Lagerkennzahl im Bestandsmanagement. Sie gibt an, wie oft der durchschnittliche Lagerbestand eines Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum (meist ein Jahr) verkauft und ersetzt wurde.
Formel zur Berechnung der Lagerumschlagshäufigkeit:
Beispiel: Angenommen, ein Bekleidungsgeschäft hat einen durchschnittlichen Lagerbestand von 10.000 Euro und einen jährlichen Wareneinsatz von 60.000 Euro:
Das bedeutet, dass der Lagerbestand sechs Mal im Jahr komplett erneuert wird. Eine hohe Lagerumschlagshäufigkeit zeigt, dass die Ware schnell verkauft wird und das Lager effizient genutzt wird. Dies ist oft ein Zeichen für eine gute Lager- und Bestandsführung sowie für eine hohe Nachfrage nach den Produkten.
Kritikpunkte an der LUG:
- Umsatzabhängigkeit: Die Lagerumschlagshäufigkeit kann durch kurzfristige Umsatzschwankungen stark beeinflusst werden. Ein ungewöhnlich hoher Umsatz in einem bestimmten Zeitraum kann die LUG verzerren, ohne dass dies auf eine langfristig bessere Lagerführung hinweist.
- Keine Margenberücksichtigung: Die LUG sagt nichts über die Rentabilität der verkauften Artikel aus. Ein hoher Lagerumschlag bei Produkten mit niedriger Marge könnte die Gesamtprofitabilität negativ beeinflussen.
- Potenzielle Gefahr durch Just-in-Time-Ansätze: Eine hohe Lagerumschlagshäufigkeit kann auf eine sehr knappe Lagerhaltung hinweisen, was im Fall von Lieferverzögerungen zu Bestandsengpässen führen kann.
Reichweite
Die “Reichweite” gibt an, wie lange der vorhandene Lagerbestand ausreicht, um die aktuelle Nachfrage zu decken. Sie wird meist in Tagen, Wochen oder Monaten angegeben.
Formel zur Berechnung der Reichweite:
Beispiel: Angenommen, der aktuelle Lagerbestand beträgt 10.000 Euro und der durchschnittliche tägliche Verbrauch beträgt 500 Euro:
Das bedeutet, dass der aktuelle Lagerbestand für 20 Tage ausreicht, bevor Nachschub erforderlich ist. Eine kurze Reichweite kann auf eine hohe Nachfrage oder einen zu niedrigen Lagerbestand hinweisen, während eine lange Reichweite darauf hindeuten kann, dass zu viel Kapital im Lager gebunden ist.
Kritikpunkte an der Reichweite:
- Kurzfristiger Fokus: Die Reichweite gibt nur einen momentanen Zustand wieder und kann durch plötzliche Veränderungen in der Nachfrage oder der Lieferfähigkeit stark variieren.
- Saisonale Schwankungen: Wenn die Reichweite ohne Berücksichtigung von saisonalen Schwankungen berechnet wird, kann dies zu falschen Bestellmengen führen.
Durchschnittliche Lagerdauer
Die Lagerkennziffer “durchschnittliche Lagerdauer” gibt an, wie lange die Ware durchschnittlich im Lager bleibt, bevor sie verkauft wird. Sie ist ein Indikator für die Effizienz des Bestandsmanagements.
Formel zur Berechnung der durchschnittlichen Lagerdauer:
Das bedeutet, dass die Ware durchschnittlich 61 Tage im Lager bleibt, bevor sie verkauft wird.
Kritikpunkte an der durchschnittlichen Lagerdauer
- Verzögerte Reaktionsfähigkeit: Da die durchschnittliche Lagerdauer auf vergangene Daten angewiesen ist, kann sie in Märkten mit schnell wechselnden Trends oder Produkten, die einer kurzen Lebensdauer unterliegen, weniger nützlich sein.
- Ungeeignet für zeitkritische Produkte: Produkte mit kurzer Haltbarkeit oder saisonalen Zyklen werden möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt.
Abverkaufsquote (AVQ) (sell-through-rate)
Die Abverkaufsquote (AVQ) ist eine weitere wichtige Kennzahl im Bestandsmanagement. Sie misst den Anteil des Lagerbestands, der innerhalb eines bestimmten Zeitraums verkauft wurde. Eine hohe Abverkaufsquote zeigt an, dass ein Großteil der Produkte verkauft wurde.
Formel zur Berechnung der Abverkaufsquote:
Beispiel: Angenommen, ein Bekleidungsgeschäft hatte am Anfang des Monats 1.000 Artikel im Lager und erhielt im Laufe des Monats weitere 500 Artikel. Im gleichen Zeitraum wurden 1.200 Artikel verkauft:
Das bedeutet, dass 80% des verfügbaren Lagerbestands im betrachteten Zeitraum verkauft wurden. Eine hohe Abverkaufsquote ist ein Indikator dafür, dass die Produkte gut nachgefragt werden und das Bestandsmanagement effizient arbeitet.
Kritikpunkte:
- Keine Berücksichtigung des Preisniveaus: Die AVQ misst lediglich die Menge der verkauften Artikel, ohne das Preisniveau oder die Profitabilität der Verkäufe zu berücksichtigen.
- Kurzfristige Perspektive: Die AVQ betrachtet nur einen bestimmten Zeitpunkt und berücksichtigt keine langfristigen Trends. Es bleibt unklar, über welchen Zeitraum die Abverkäufe getätigt wurden.
- Verzerrung durch Aktionen und Rabatte: Die Abverkaufsquote kann durch Verkaufsaktionen und Rabatte stark beeinflusst werden. Eine hohe AVQ aufgrund von Rabatten kann die Rentabilität schmälern.
Bedeutung und Anwendung der Kennzahlen
Die genannten Kennzahlen sind für ein effektives Bestandsmanagement im Bekleidungshandel unerlässlich. Sie bieten Einblicke in die Effizienz der Lagerhaltung, die Nachfrage nach Produkten und die Rentabilität des Unternehmens.
- Lagerumschlagshäufigkeit: Eine hohe Lagerumschlagshäufigkeit ist ein Zeichen dafür, dass die Produkte gut nachgefragt werden und das Lager effizient verwaltet wird. Es hilft dabei, Überbestände zu vermeiden und die Lagerkosten zu minimieren.
- Reichweite: Die Reichweite hilft bei der Planung der Nachbestellungen und stellt sicher, dass immer ausreichend Bestand vorhanden ist, um die Nachfrage zu decken, ohne dass es zu Überbeständen kommt.
- Durchschnittlicher Bestand und durchschnittliche Lagerdauer: Diese Kennzahlen helfen dabei, die Bestände zu überwachen und sicherzustellen, dass die Produkte nicht zu lange im Lager bleiben, was die Kosten erhöht und das Risiko von Abschreibungen wegen Veralterung oder Beschädigung erhöht.
- Abverkaufsquote (AVQ): eine hohe AVQ zeigt an, dass die Produkte erfolgreich verkauft werden, was auf eine hohe Nachfrage und effizientes Bestandsmanagement hinweist. Eine niedrige AVQ kann darauf hinweisen, dass Produkte schwer absetzbar sind und möglicherweise Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Attraktivität der Produkte zu erhöhen oder Preisnachlässe anzubieten.
Fazit
Ein effektives Bestandsmanagement erfordert ein tiefes Verständnis und die regelmäßige Überwachung der vorgestellten Lagerkennzahlen. Diese Kennzahlen bieten wertvolle Einblicke in die Effizienz der Lagerhaltung und die Nachfrage nach Produkten. Sie helfen dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, die die Rentabilität und Kundenzufriedenheit erhöhen.
Wenn es um die Anwendung von Lagerkennzahlen geht, gibt es jedoch keine „Einheitslösung“. Die Wahl der richtigen Kennzahl(en) sollte immer im Kontext der spezifischen Marktbedingungen, von Produktlebenszyklen und Ihrer Unternehmensziele erfolgen.
Ein kombiniertes Monitoring verschiedener Kennzahlen bietet die beste Grundlage für fundierte Entscheidungen im Bestandsmanagement. Regelmäßige Anpassungen und die Berücksichtigung der jeweiligen Unternehmenssituation sind entscheidend, um Lagerbestände optimal zu steuern und die Rentabilität zu maximieren.
Ein gut geführtes Bestandsmanagement ist somit ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg Ihres Unternehmens.
Quellen und weitere Informationen:
- Bestandsmanagement und ‑controlling: Optimierungsstrategien mit Beispielen aus der Praxis. (Praxisreihe Einkauf-Materialwirtschaft, Band 8) – Horst Harmann – ISBN: 978–3886402076
- Management von Beständen in Supply Chains: Konzept, Anwendung, Perspektiven – Wolfgang Stölzle u.a. – ISBN: 978–3039091744
- Bestandsmanagement – ein angewandter Ansatz: Sammlung zu Theorie und Praxis – Josinaldo Dias – ISBN: 978–6203933055